Eigene Forschung

Auch Organhandel ist Menschenhandel

Auszug aus:

Nowak, Jürgen 2013: Homo Transnationalis. Soziale Arbeit zwischen Menschenrechten und Menschenhandel

5.1.            Organhandel

 Einer der unmenschlichen Bereiche des Menschenhandels ist der globale Organhandel. Laut Wikipedia (www.wikipedia.org/wiki/Organhandel, 20.02.2013) versteht man unter Organhandel den Handel mit menschlichen Organen zum Zweck der Transplantation. Im Gegensatz zu der erlaubten Organspende an Verwandte oder andere nahestehende Personen ist es in den Ländern der Europäischen Union und in den USA illegal, Lebendspenden gegen Belohnung anzubieten, zu organisieren oder durchzuführen. Vom Organhandel sind in erster Linie die armen Entwicklungs- und Schwellenländer betroffen.

 „Vorwiegend aus Schwellenländern sowie Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ wird dennoch immer wieder berichtet, dass Organe gegen Geld oder gegen andere Formen der Belohnung gekauft und zahlungskräftigen Kranken transplantiert werden. Dies soll im großen Stil geschehen. Sichere Hinweise für solche Praktiken liegen aus Indien, Brasilien, Afrika und China vor. China verwertet die Organe von hingerichteten oder verstorbenen Strafgefangenen offen kommerziell. In Brasilien und in Südafrika wurden illegale Organschieber bereits gerichtlich verurteilt. Die Gesamtindische Gesellschaft für die freiwillige Organspende glaubt, dass alleine dort in den letzten 25 Jahren mehr als 100.000 illegale Nierenverpflanzungen vorgenommen wurden. Die Spender erhalten umgerechnet 750 bis 1000 €. Die meisten Empfänger sind wohlhabende Inder oder Ausländer, z.B. aus Saudi-Arabien, den USA, Israel und Westeuropa; sie bezahlen Einzelberichten zufolge 30.000 bis 250.000 € für eine Niere. Der Transplantationsmediziner Michael Friedlaender berichtete über israelische Patienten, die in Indien, in Osteuropa und im Irak Nieren erhalten hatten. Zeitweise wurden auch Lebendspender nach Tel Aviv eingeflogen; erst öffentliche Proteste beendeten diese Praxis(www.wikipedia.org/wiki/Organhandel, 20.02.2013).

 Für Europa wurde folgendes recherchiert:

2003 stellte die Schweizer Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold dem Europarat ihren Bericht vor. Sie beschreibt darin die Machenschaften von international organisierten Verbrecherbanden, die den Bewohnern armer Regionen ihre Organe abkaufen, um sie im wohlhabenden Westen zu verkaufen. Konkret sprach Vermot mit 14 Moldawiern, die eine Niere für 2500 bis 3000 € „gespendet“ hatten (das durchschnittliche Monatseinkommen in Moldawien liegt bei 25 €). Die Organe wurden in der Türkei illegal explantiert und zu unbekannten Empfängern transportiert. Spender werden dem Bericht zufolge auch in der Ukraine, in Russland, Rumänien und Georgien rekrutiert.

Während des Kosovokriegs tötete die UÇK nach Angaben von Carla Del Ponte, der ehemaligen Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, serbische Zivilisten und Gefangene, um die Organe zu verkaufen. Da aber nur Indizien vorlagen, konnte das Tribunal keinen Prozess mit weiteren Ermittlungen in diese Richtung beginnen. Ein im Dezember 2010 publizierter Bericht des Schweizer Europaratsabgeordneten Dick Marty knüpft an diese Vorwürfe an und stellt einen mutmasslichen Zusammenhang zwischen dem heute amtierenden Staatschef Kosovos Hashim Thaci und illegalem Organhandel zur Zeit des Kosovokriegs her“ (Vermot-Mangold 2003).

Moises Naim (2005) stellt in ihrem Buch >Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens< fest, dass es sich beim Organhandel um ein komplexes globales System zwischen den reichen und armen Ländern handelt.

„Nieren sind Big Business. Das gilt auch für andere Körperteile: Hornhäute, Lebern und Bauchspeicheldrüsen für Transplantationen, Herzen und Lungen und Genitalien für traditionelle Heilmittel und Zubereitungen“ (Naim 2005: 203).

Laut einem Report des Europarates warten allein 40.000 Westeuropäer auf eine Niere. Die Wartezeit liegt bei ca. drei Jahren (www.sueddeutsche.de/politik, 03.02.2012).

 Lukrativer Organhandel auf der Sinai-Halbinsel

Seit Ende 2010 berichteten westliche Medien vom Organraub in der ägyptischen Sinai-Wüste. Sie berufen sich auf Berichte der beiden Menschenrechtsorganisationen „The New Generation Foundation for Human Rights“ in Ägypten und „Every One“ in Italien. Federführend ist hierbei der amerikanische Fernsehsender CNN. Diese Medienberichte führten inzwischen zu einer Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag am 23.10.2012:

„Ägyptische Experten bezeichneten in einem CNN-Bericht (The CNN Freedom Project, Death in the Desert, 8. November 20122) den Organhandel als ein lukratives Geschäft. Der Preis je Organ liegt nach Angaben bei 20 000 Dollar (14 800 Euro). Vor allem sind Flüchtlinge betroffen, die auf irregulärem Weg die Grenze passieren und abhängig von Schleppern sind. Eine weitere Gruppe, …, sind Flüchtlinge aus dem Mai-Ayni-Flüchtlingslager, die in Äthiopien entführt und in den Sinai gebracht werden“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/11134).

Da auf Grund eines Abkommens zwischen Libyen und Italien und der Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) sind bisherigen Fluchtwege nach Europa weitgehend „gesperrt“, so dass neue Fluchtwege gesucht werden, die den Menschenhandel begünstigen. In der Anfrage an die Bundesregierung werden u.a. folgende Fragen von insgesamt 15 gestellt:

„1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Entwicklung des Menschen- und Organhandels im ägyptisch-israelischen Grenzgebiet vor?

5. Unterhält die Bundesregierung Programme zur Unterstützung von Organisationen, die sich gegen den Menschen- und Organhandel auf der Sinai-Halbinsel einsetzen?

12. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Organe aus dem illegalen Handel nach Deutschland gelangt sind?“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/11134).

Die Antwort der Bundesregierung steht noch aus. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe untersucht in ihrem Länderbericht „Eritrea: Entführungen, Erpressungen, Organhandel“ (vgl. Geiser 2012) die komplexen Zusammenhänge von Entführungen, Abhängigkeiten von Schleppern, Erpressungen, Inhaftierung, Deportationen bis hin zu Netzwerken in westlichen Ländern, wo die Gelder illegal angelegt werden.

„Gemäss Meron Estefanos, einer eritreischen Journalistin in Schweden, werden die Gelder über Mittelsmänner in Ländern mit einer großen eritreischen Diaspora wie die Schweiz, Israel, Schweden oder die USA übergeben. Eritreer in Ägypten, im Sudan, in Israel und auch in den Flüchtlingslagern in Äthiopien sollen von Lösegelderpressungen profitieren“ (Geiser 2012: 7f).

Schon im Jahre 2003 war der Organhandel ein Thema des Europarates in dem Bericht „Trafficking in organs in Europe“, den das damalige Schweizer Mitglied der Parlamentarischen Versammlung, Ruth-Gaby Vermont-Mangold; vorgelegt hat. In der Zusammenfassung heißt es:

„As the success of organ transplantation steadily increases, the gap between the supply and demand for organs continues to widen sharply. 15-30% of patients in Europe die on waiting lists as a result of chronic shortage of organs. International criminal organisations have identified this lucrative ‘gap’ and put pressure on people in extreme poverty, particularly of Eastern Europe, to resort to selling their organs.

This situation raises a number of ethical questions: should the poor provide for the health of the rich? Should the price of alleviating poverty be human health? Should poverty compromise human dignity and health?” (Vermont-Mangold 2003: 1).

Als empirisches Beispiel werden die Recherchen vor Ort in Moldawien genannt.

Auf den Spuren der Organmafia

Nancy Scheper-Hughes (geb. 1944) ist Professorin für Anthropologie an der University of California, Berkely und Gründungsdirektorin von Organs Watch. Diese Forschungs- und Dokumentationsstelle überwacht und bekämpft illegalen Organhandel in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation WHO. In dem Fernsehbeitrag „Auf den Spuren der Organmafia“ des Senders Arte vom 13.9.2011 (www.arte.tv, 03.02.2012) hat Nancy Scheper-Hughes ein Interview gegeben und unter anderem folgendes gesagt:

„… Tatsächlich sind einige der weltweit führenden Kliniken und Ärzte in den illegalen Organhandel verwickelt. Es musste klar gemacht werden, dass Organhandel kein ‚Medizintourismus’ ist, bei dem sich Menschen meist aus Kostengründen in anderen Ländern medizinisch behandeln lassen. Es ist vielmehr ein Verbrechen im Bereich der organisierten Kriminalität. ….. 80 % der Menschen, die ihre Organe verkaufen, tun das freiwillig. Aber darum geht es gar nicht, sondern um die strukturelle Gewalt, die dahinter steht. Die Menschen wissen gar nicht, worauf sie sich einlassen“.

Laut Nachrichten des www.aerzteblatt.de (28.12.2012) vom 18. Juli 2012 ist der „Transplantationstourismus weltweit zurückgegangen, aber nicht gestoppt“, d.h. konkret:

„’Um Transplantationstourismus wirklich zu kontrollieren, ist vollständige Transparenz der Daten für Organempfänger und -spender eine unabdingbare Voraussetzung’, sagte Gabriel Danovitch von der University of California, der … weltweit die Situation beobachtet und die Daten an die WHO weiterleitet.“