2000 Euro Kopfgeld

Foto: Sascha Böhnke  / pixelio.de

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Wie auf dem Viehmarkt

Michael Jürgs beschreibt den kommerziellen Menschenhandel in Europa

Von Jürgen Nowak

„Sklavenmarkt (in) Europa“, ist das denkbar? JA, es ist die harte Wirklichkeit in allen europäischen Ländern. Der Journalist und Sachbuchautor Michael Jürgs hat ein schockierendes und gleichzeitig trauriges Buch geschrieben. Er nennt Fakten und Zahlen über die Ware Mensch auf dem Weltmarkt der Ausbeutung mit dem Schwerpunkt Europa als Zielland: Ca. zwanzig Millionen Menschen können nicht über ihr Leben frei bestimmen, das Kopfgeld für eine Frau in Ost- und Zentraleuropa beträgt 2000 Euro und ihr Beitrag an Sexualleistungen erbringt der Firma 60.000 Euro. Zwischen geschätzten 140.000 bis 300.000 Frauen werden jährlich für die Bordelle und den Straßenstrich angeliefert, „Viele der übers Mittelmeer nach Europa geschmuggelten Frauen aus Schwarzafrika werden nach der Ankunft regelrecht versteigert. Wie Tiere auf dem Viehmarkt….“ (S. 42). Menschenhandel und Menschenschmuggel haben in Europa einen Jahresumsatz von 15 Milliarden Euro, steuerfrei, also gleich Nettoprofit.

In Deutschland kaufen Tag für Tag ungefähr 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen. Die geschätzte Zahl der Illegalen in Deutschland schwankt zwischen 100.000 bis zu einer Million. Fazit: „Menschenhandel ist ein Wachstumsmarkt, weil Armut auf der Welt ungebremst wächst. Kriminelle Organisationen liefern weltweit zwischen 600.000 und 2,5 Millionen Menschen pro Jahr als >frische Ware< auf die Absatzmärkte“ (S. 183). „Das Europa der offenen Grenzen ist nach wie vor der Wachstumsmarkt, auf den Hunderttausende geschleust werden. Kriminelle sind überzeugte Europäer“ (S. 189). Der Autor schreibt mit Recht: „Ein organisiertes Dunkelfeld ist als Gegenwelt die eigentliche Gefahr für die politische Stabilität einer demokratischen Gesellschaft“ (S. 112).

Der Menschenhandel hat vielfältige Dimensionen: Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Scheinehen, Haussklaven, Zwangsadoptionen und Organhandel. Die Milliardengewinne der Menschenhändler kommen zu 58 Prozent aus der Prostitution und zu 36 Prozent aus der Zwangsarbeit. Die anderen Prozente fallen auf Kinderhandel, Scheinehen, Haussklaven und Organhandel.

Die Ursachen für dieses „erfolgreiche“ illegale Geschäftsmodell lassen sich mit dem Prinzip der Marktwirtschaft erklären, wie es jede/r Student/in im 1. Semester der Volkswirtschaftslehre lernt: „Grundsätzlich ist eine Markt dadurch gekennzeichnet, dass er die Anbieter und Nachfrager eines bestimmten Gutes zusammenführt“ (Bofinger). Das Angebot speist sich aus der Armut, der Diskriminierung, der Unterdrückung der Frau, d.h. der allgemeinen Perspektivlosigkeit in diesen sog. Push-Ländern, die Menschen aus den armen Ländern Osteuropas, des Balkan, Afrikas und Asiens „abstoßen“. Die Nachfrage speist sich aus den Bedarf nach sexuellen Dienstleistungen und an billigen Arbeitskräften in den sog. Pull-Ländern im reichen Westeuropa, die diese Angebote „anziehen“. Das kaufkräftige Deutschland ist besonders attraktiv als Absatzmarkt.

Dieser marktwirtschaftliche Mechanismus wird von den Global Playern des Menschenhandels in Gang gehalten. Sie tummeln sich in den Biotopen gesetzloser Staaten jenseits der EU-Außengrenzen wie Albanien, Kosovo, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro oder Moldawien wie in einem „Garten Eden. Die Rekrutierung läuft wie geschmiert, Wer stört, wird entweder geschmiert oder für immer entsorgt“ (S. 140). 500 Euro Bestechung für einen Grenzbeamten auf dem Balkan entspricht einem Monatslohn, dagegen ist es für die Kriminellen nur ein Trinkgeld. In dem Dunkelfeld tummeln sich 3.600 kriminelle Vereinigungen.

Die Bekämpfung des Menschenhandels ist deshalb so schwierig, da die Frauen fast nie als Zeuginnen aussagen, denn sie werden persönlich, aber auch ihre Familien zuhause bedroht. Da sie in ihren Heimatländern auch mit der oft korrupten Polizei negative Erfahrungen haben, können sie auch kein Vertrauen zur deutschen oder westeuropäischen Polizei gewinnen. Und in Deutschland gibt es kein Zeugenschussprogramm. Erst wenn eine Zeugenaussage möglich ist, dann erst wird ein sicherer .Aufenthalt gewährt.

Das Buch ist hervorragend recherchiert, und zwar nicht nur durch das Studium vorhandener Literatur und der Studien internationaler Organisationen wie u.a. UNODC, ILO und EUROPOL, sondern Michael Jürgs hat auch eigene Recherchen unternommen. Er hat intensive Gespräche mit leitenden Kriminalbeamten bei EUROPOL, FRONTEX, Scotland Yard, Bundespolizei und BKA geführt. Weiterhin hat er mit Kriminologen, Generalstaatsanwälten, PolitikerInnen (z.B. Barbara Lochbihler MdE, Olaf Scholz) und engagierten Sozialarbeiterinnen in den NGOs gesprochen, die sich für die Opfer einsetzen. Er hat auch an Razzien der Polizei gegen Menschenhändler teilgenommen.

Der Kampf gegen Menschenhandel ist aus der menschenrechtlichen Perspektive zu bewerten. Was kann nach Jürgs getan werden? Er hat zehn Gebote formuliert, z.B. osteuropäische Subunternehmer, die keinen Mindestlohn zahlen, erhalten keine Aufträge mehr; Bildung internationaler schlagkräftiger Ermittlungsgruppen; Höchststrafen im Rahmen der Gesetze gegen Menschenhandel; Erhöhung des Etats für die Dolmetscher in den vielen notwendigen Sprachen; Abschöpfung der Vermögenswerte der Beschuldigten; Sprachkurse, Therapien und Berufsausbildung für die Opfer; dauernde Aufenthaltserlaubnisse für Kronzeugen.

Das ist alles richtig, jedoch letztlich bleibt „nur“ die Hoffnung, dass sich langfristig die Lebensverhältnisse in diesen armen Ländern verbessert, um die Perspektivlosigkeit der Menschen zu überwinden. Nur so kann der Markmechanismus Menschenhandel außer Kraft gesetzt werden.

Das Buch ist nicht nur gut recherchiert, sondern auch sehr lesbar geschrieben. Wenn Sie sich mit dem Thema Menschenhandel auseinandersetzen wollen, dann ist das Buch sehr zu empfehlen.

Michael Jürgs 2014: Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mit der Ware Mensch. C. Bertelsmann

Jürgen Nowak